Hrg. H.-P. Brachmanski, Paperback mit 68 Seiten und 20 Abbildungen, darunter 16 s/w Fotos und 4 farbige Abbildungen.
Aus dem Vorwort:
Im Nachlass meines Vaters, der am 06.04.1928 in Slamen, einem kleinen, heute eingemeindeten Dorf bei Spremberg geboren wurde, fand sich ein Konvolut alter Briefschaften. Dieses seit Jahren verschollen geglaubte Päckchen alter Briefe ist mir seit meinen Kindheitstagen bekannt. Meist zur Weihnachtszeit löste mein Vater sorgsam den Verschluss des Bündels, öffnete die alten Umschläge und las andächtig aus den vergilbten und teilweise verblichenen Familiendokumenten vor. Fast wie gemalt kamen mir diese Schriftstücke in der alten feinen Sütterlinschrift vor, die mein Großvater höchst akkurat in den Briefen an seinen Sohn verwendet hatte. Mit der Auswahlpublikation dieser Briefe wird eine wertvolle Quelle der Spremberger Stadtgeschichte einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die nunmehr chronologisch geordneten Texte ermöglichen einen Einblick in das Kriegs- und Nachkriegsleben einer Spremberger Familie, wie es vermutlich kein zweites Mal so dokumentiert ist. Das Zeitspektrum der Briefe beginnt mit der Einberufung meines Vaters zur Deutschen Wehrmacht und reicht über den nachfolgenden Kriegseinsatz an der Westfront ab Herbst 1944 bis in die Nachkriegszeit. Ein wesentlicher Bestandteil ist der Briefwechsel mit meinem Großvater, Oberleutnant Wenzel Brachmanski, der an der Ost- und Heimatfront seinen Dienst versah. Erstaunlich mag es uns heute scheinen, dass es noch 1944/45 intakte Postverbindungen zwischen den verschiedenen Frontabschnitten und der Heimat gab. So schickte der Sohn Wolfgang dem Vater seine Tabakmarken, der sich rückwirkend dafür bedankte. Jedenfalls gehörte es noch in den letzten Kriegsmonaten zu den Selbstverständlichkeiten, Briefe und Pakete im fast täglichen Rhythmus austauschen zu können. Nach Schätzungen von Berliner Wissenschaftlern des Museums für Kommunikation (hervorgegangen aus dem deutschen Postmuseum) sollen allein in der deutschen Armee während des Zweiten Weltkrieges 30 bis 40 Milliarden Postsendungen befördert worden sein. Anhand dieser authentischen Aufzeichnungen lassen sich einzelne Begebenheiten in den letzten Kriegstagen der zur Festung erklärten Stadt Spremberg besser zuordnen und verstehen. Erinnert sei beispielsweise an die Bombardierung Sprembergs, durch die 80 % der Innenstadt vernichtet wurden, oder an die erst spät freigegebene Flucht der Zivilbevölkerung vor der anrückenden Sowjetischen Armee. Meine Großmutter Beatrice Brachmanski floh damals Hals über Kopf aus ihrem Wohnhaus in der oberhalb der Stadt gelegenen Kriegerheimsiedlung, wo sich viele Einwohner bis dahin sicher glaubten. Der Fluchttreck führte sie in Richtung Haidemühl. Eines der älteren Kinder an der Hand führend, den wenige Wochen alten Sohn Klaus-Peter im voll bepackten Kinderwagen schiebend so verließ sie ihre geliebte Heimatstadt. Die letzten Kampfeinsätze der deutschen Verteidiger finden in den Briefen ebenso Erwähnung wie die Eroberung Sprembergs und die nachfolgenden Plünderungen durch die Besatzer. Dass man dabei nicht zimperlich vorging, war allen Betroffenen klar. Neben persönlichen Mitteilungen Schicksale einzelner Bekannter und Freunde, Begegnungen, Geburtstagen vermitteln die Briefe eine Fülle authentischer Angaben über das entbehrungsreiche Leben der Zivilbevölkerung nach dem Ende des Krieges. Hunger in seiner krassesten Form begleitete alles Geschehen; aber gelegentlich gab es auch Unterstützung für die arg Not leidende Zivilbevölkerung. Neben Namensnennungen, Geburtstagen und vielen schlichten Fakten zur Stadtgeschichte sind weitere authentische Angaben zum entbehrungsreichen Leben der Zivilbevölkerung nach der Kapitulation Deutschlands 1945 in den Briefschaften vermerkt und festgehalten. Die beginnende Neuordnung der Gesellschaft der viele Unschuldige zum Opfer fielen zeichnete sich schon ab. Der Leser kann allerdings solche politisch motivierten Vorgänge oft nur zwischen den Zeilen wahrnehmen. Die Briefschreiber wussten von der Postüberwachung und den daraus resultierenden Schikanen, denen sie im neuen Gesellschaftssystem ausgesetzt waren. So bieten die Briefe auf den ersten Blick zwar überwiegend eine Summe kleiner persönlicher Erinnerungen, deren Gesamtheit ergibt aber das realitätsnahe Mosaikbild einer schon längst vergessen geglaubten, über sechzig Jahre zurückliegenden Ära. Erfurt, den 8. Mai 2010 Hans-Peter Brachmansk